Samstag, 6. Februar 2016

Zwischen Genie und Genialität


Du kennst weder Namen noch Hintergrund deines Charakters, der als Künstler vorgestellt wird und sich immer mehr dem Wahnsinn hingibt. In einem fast schon Labyrinth-artigen Haus ist es das Ziel, sein Meisterwerk zu vollenden. Du wanderst also durch das gemütliche Haus, um die benötigten Materialien für die Fertigstellung zu besorgen. Dass das alles nur halb so lustig-fröhlich abläuft, wie es sich zuerst anhört, lässt sich bereits durch den Bezug zum, leider abgesagt, Silent Hills erahnen. Statt dem beliebten Spiel blind nachzueifern, verbindet Layers of Fear jedoch einzelne Aspekte von Silent Hills mit dem eigenen Stil und kreiert eine originelle und mehr als nur erdrückende Stimmung.
Das Studio behandelt also nicht direkt die Ursache des immer stärker werdenden Wahnsinns, sondern setzt den Fokus darauf, den Spieler in diese Welt zu ziehen. Und das funktioniert mehr als nur gut. Während man sich am Anfang des Spiels in einem normalen, schön eingerichteten Haus befindet, kippt die Stimmung in der nächsten halben Stunde bereits. Türen knallen zu, ein leises Flüstern macht sich auf den Kopfhörern bemerkbar. Ich gehe durch einen langen Flur, auf eine Tür zu. Nachdem ich feststelle, dass diese verschlossen ist, drehe ich mich um, um einen anderen Weg zu finden. Und plötzlich stehe ich in einem völlig anderen Raum.
Türen verschwinden hinter deinem Rücken, andere tauchen beim nächsten Kameraschwenk direkt vor der Nase auf. Nicht nur der Künstler gibt sich dem Wahnsinn hin, auch ich zweifle langsam an meinem (sowieso schon sehr eingestaubten) Gedächtnis. Hing das Gemälde schon die ganze Zeit da? Warte. Hat es mich gerade angestarrt?
Je mehr Zeit ich in Layers of Fear verbringe, umso mehr Angstschweiß sammelt sich auf meiner Stirn. Der nun klar erkennbare Wahnsinn droht den Künstler zu verschlingen und zieht ihn weiter in die immer düsterer werdenden Illusionen. Unterlegt mit klassischer Musik, erfährst du Stück für Stück mehr über das tragische Schicksal des Künstlers und immer weiter geht es in die dunkle Psyche des gebrochenen Mannes. Das Spiel stellt Horror dar, wie er sein sollte: unterschwellig, anfangs noch kaum wahrnehmbar, mit der Zeit jedoch immer weiter zunehmend. Es ist nicht einmal die Tatsache, dass mich eine verstörend zuckende, weinende Frau (die stark an Silent Hills‘ Lisa erinnert) verfolgt, die mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagt. Es ist der wahre Horror, der Gedanke daran, wahnsinnig zu werden. War ich in diesem Raum bereits? War da nicht eben noch eine Tür? 

Fazit

Layers of Fear schafft es, den Prozess des anschleichenden Wahnsinns gut einzufangen und für den Spieler umzusetzen. Anstelle von billigen Jumpscares und klischeebeladenen Monstern bekommst du etwas viel Schlimmeres: Den eigentlichen Ursprung des Wahnsinns, die Zerstörung des eigenen Verstandes.
Anne

Mittwoch, 13. Januar 2016

Ein Spiel, das frustrieren soll

Experimentelle Games : Ein Spiel, das frustrieren soll

Die Wissenschaftlerin Doris Rusch untersucht die Natur des Menschen mithilfe von Computerspielen. Und lässt Spieler dazu Depressionen oder Sucht nacherleben.

Montag, 4. Januar 2016

MASOCHISIA – der Werdegang eines Serienmörders


masochisia-test1Hier markieren, um Trigger zu sehen: Kannibalismus, Depressionen, Missbrauch, Schizophrenie
 Bei meinem Test konnte ich Masochisia meist nur eine halbe Stunde am Stück spielen. Grund hierfür war keineswegs die fehlende Zeit oder mangelnde Motivation, sondern viel eher der Fakt, dass es ein verdammt düsteres Spiel ist. Die Gesamtspielzeit beträgt nur wenige Stunden, die man wahrscheinlich an einem Abend durchspielen könnte. Bei meinem Test war mir das jedoch nicht möglich. Ich sehe mich selbst nicht als jemanden, der leicht von Spiel Ereignissen verstört oder beeinflusst wird. Masochisia löste bei mir jedoch ein so unwohles, beklemmendes Gefühl im Bauch aus, das ich es auch einen Tag später, trotz der kurzen Anspielzeiten, noch mit mir herumtrug. Der Spieler schlüpft in die Rolle des jungen Hamilton, der mit seiner Familie, bestehend aus Vater, Mutter und einem Bruder, in einer ländlichen Gegend wohnt.Anstatt einer lieblichen Familie, erwartet uns hier jedoch die Laufbahn eines potentiellen Serienmörders. Auf dem Weg in das Wohnzimmer treffen wir auf die schizophrene Mutter, deren Stimmung stets zwischen schrecklichen Todesdrohungen und weinerlichen Entschuldigungen schwankt.

Gehen wir die Treppe hinauf, so treffen wir auf unseren älteren Bruder Walter. Der steckt in seinem blutverschmierten Zimmer in einer Zwangsjacke und droht, uns das Gesicht abzufressen. Er liebt es sich und andere um sich herum zu verletzen. Eine normale Unterhaltung ist durch seine komplett gebrochene Psyche nicht mehr möglich. Einige Mausklicks nach links und wir befinden uns im Schlafzimmer unserer Eltern, in dem sich unser alkoholisierter Vater befindet, der Hamilton täglich missbraucht und ihn für sein gescheitertes Leben verantwortlich macht. Es gibt keine kleine schwarze sprechende Katze, die uns hilft aus dieser schrecklichen Situation zu entkommen. Keine kleine Fee die uns in eine andere Welt zaubert. Wir befinden uns mitten in einem menschlichen Albtraum, und wir kommen nicht heraus.  
Das Grundprinzip eines Spiels basiert im Allgemeinen darauf, dass der Spieler belohnt wird. Bei Super Mario bekommen wir kleine Goldmünzen, in Skyrim darf ich nach dem Sieg über den Drachen seine Gebeine mitnehmen und mir eine Rüstung daraus basteln. Neben dem materiellen Ansporn gibt es auch den psychologischen Ansporn, das Streben nach Besserung. Die "Alles wird wieder gut"-Endings, die uns meist mit einem Lächeln auf den Lippen zurück lassen. Wir retten unsere Freundin, wir vertragen uns mit den Eltern, wir retten die Prinzessin aus dem Schloss. Was aber, wenn sich der Weg zum Ende des Spiels immer weiter verdüstert? Wenn die Hoffnung auf Besserung, zu einer sich stetig verschlechternden Situation führt? Masochisia lässt uns nicht die Rolle des "Alles wird gut"-Menschen übernehmen. Viel mehr übernehmen wir Kontrolle über eine gebrochene Seele, und verfolgen diese auf ihren Weg in den Abgrund. Der Spieler bekommt an dieser Stelle also nicht gesagt "Hey, Kopf hoch!" sondern wird damit konfrontiert, dass manches einfach nicht mehr zu retten ist. Wir bekommen nicht nur einen Einblick in das Leben eines vom Schicksal geprägten Jungen, sondern auch einen kontroversen Blick in die Psyche derer, die in so vielen Videospielen mit einer Zwangsjacke und hysterischem Lachen abgestempelt werden. Es zeigt uns den Werdegang der Menschen, die wir fürchten und von denen wir uns früher als Kinder gegenseitig Gruselgeschichten erzählten. Hamilton flüchtet sich in christliche Symbolbilder und Stimmen, die ihm zuflüstern was er als nächstes tun soll. Ein Indiz dafür, dass auch Hamilton wahrscheinlich an Schizophrenie leidet. Besonders interessant ist die Art in der Jon Oldblood, der als Einzelnperson das Projekt zum Leben erweckte, die Geschichte des kleinen Jungen erzählt. Die Stimme in unserem Kopf bemitleidet uns, sie spricht uns Mut zu. Wir sollen die Pillen nehmen, dann wird es uns besser gehen. Anfangs helfen diese auch gegen die entzetzlichen Erscheinungen, die uns neben der sowieso schon schrecklichen Familie plagen. Je tiefer wir in das Spielgeschehen eindringen, umso mehr verlieren sie jedoch die Wirkung. Hamilton selbst sieht sich im Verlauf des gesamten Spiels nie als den Bösen der Geschichte. Er tut das was ihm auferlegt wird, das was der düster dreinblickende Engel mit diabolischen Hörnern ihm sagt. Während wir in anderen Spielen eine kleine liebliche Fee oder sonstige Fabelwesen an die Hand bekommen, die uns durch die Dunkelheit leiten, werden wir bei Masochisa immer weiter in sie hineingeführt.
Die Stimmung des Spiels wird von Minute zu Minute düsterer und nur ab und zu durch unseren Psychotherapeuten unterbrochen, dem wir unsere Leidensgeschichte schildern. Die biblischen Anspielungen finden immer wieder einen Weg in den kindlichen Kopf, möglicherweise die Folge christlicher Erziehung und dem Versuch, sich selbst die schrecklichen Taten zu erklären. Auf die Symbolik selbst möchte ich an dieser Stelle jedoch gar nicht weiter eingehen, denn die Geschichte hinter all dem macht den Hauptteil des Point-and-Click artigen Spiels aus. Damit kommen wir auch zu den am meisten vernachlässigten Punkt des Spiels: dem Gameplay. Während die Debatte um die Frage "Wann ist ein Spiel ein Spiel?" spätestens nach dem Release von The Order: 1866 deutlich angeheizt wurde, macht es mir auch Masochisia nicht leicht diese Frage zu beantworten. Elementar baut das Spiel auf die Mechaniken eines Point-and-Click Adventures auf. Wir bewegen uns mit einem Klick an die Seiten des Bildschirms zum nächsten Raum, führen Dialoge mit den NPCs und befinden uns in einer 2D-Welt. Die typisch kniffligen Rätsel fallen hier jedoch fast komplett weg, außer ein oder zwei Mal gab es keine Situationen, in denen ich meinen Kopf zum Nachdenken nutzen musste. Ob Oldblood das Feature ausließ, um die düstere Stimmung beizubehalten, bleibt an dieser Stelle offen. Die einzige Möglichkeit sich ein wenig in den Spielverlauf einzumischen sind die Dialog Optionen, die meist aus drei verschieden möglichen Antworten bestehen. Ansonsten klicken wir uns lediglich durch ein (gut) inszenierten dreistündigen Film im Comic-Look. Wer hier auf starke Rätsel hofft, wird also leider enttäuscht.

masochisia-test Fazit

Masochisia mag wahrlich nicht für den Durchschnitts-Videospieler gedacht sein. Während es für viele kaum als Spiel anzusehen ist, ist es für die anderen ein schwer verdauliches Themengebiet. Ich empfehle jedoch trotzdem allen (die es sich zutrauen) einen Blick darauf zu werfen. Einen Blick auf die andere Seite, statt sich dem Stigma des "völlig durchgeknallten" hinzugeben. Viel eher werden die eigentlichen Ursachen vieler mentaler Probleme hervorgehoben, die in diesen Fall ihre Wurzeln in einer gewalttätigen Kindheit haben. Es wird die Seite jener Menschen in den Vordergrund gerückt, vor der sich so viele im Kinositz oder vor dem Bildschirm daheim fürchten. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Im Fall von Masochisia verfolgt ihr die einer gebeutelten Seele, die den düsteren Stimmen im Kopf nicht widerstehen konnte.

Alles geht im Kopf ab

Computerspiele verändern uns und unsere Psyche. Einige Erkenntnisse zur Wirkung der Spiele gibt es bereits: Das meiste geht im Kopf ab. Computerspiele können dabei zur Therapie eingesetzt oder zum Grund für eine Therapie werden.

 Wir spielen, weil wir Menschen sind. "Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt," schrieb schon Schiller in "Über die ästhetische Erziehung des Menschen". Alles, was also zum Menschsein gehört, wird auch im Spiel und eben im Computerspiel ausgelebt, integriert oder dorthin übertragen.

Leben im Spiel, Spiel im Leben 

 In Computerspielen nimmt der Spieler Wissen und Gefühle mit in die virtuelle Welt oder überträgt solche aus dem Spiel in das wahre Leben. „Transfer" nennt sich dieses Phänomen, und bei Ludologen (von Ludologie, die Wissenschaft des Spiels) wird zwischen verschiedenen Arten des Transfers unterschieden: Aus dem Leben ins Spiel oder aus dem Spiel ins Leben. Bei einem emotionalen Transfer kann beispielsweise eine im Spiel entstandene Wut ins echte Leben transportiert werden, und der Gamer wendet das, was er spielend wahrgenommen hat, in seinem persönlichen Umfeld an. Bei einem ethisch-moralischen Transfer wird die Moral des Spielers beeinflusst, zum Beispiel also verstärkt oder abgeschwächt. In Folge eines assoziativen Transfers werden dagegen generelle Reizeindrücke der realen Welt mit Situationen aus Computerspielen verknüpft. Virtuell dargestellte Wälder können so Assoziationen beim realen Waldspaziergang auslösen.

Serious Games: Spiele zur Heilung 

 Ein Großteil der Transfereffekte konnte schon wissenschaftlich nachgewiesen werden, so zum Beispiel von Lager und Bremberg, die in insgesamt acht Studien eine Verbesserung der räumlichen Wahrnehmung beziehungsweise der Reaktionsfähigkeit durch digitale Spiele nachweisen konnten. Der Spieleklassiker Tetris hilft sogar nachweislich bei der Trauma-Bewältigung, wird es unmittelbar nach einer üblen Erfahrung gespielt fanden Wissenschaftler der University of Oxford heraus. Spiele, die für ernste Absichten entwickelt werden, nennen sich „Serious Games". Diese reichen von Lernspielen für Kinder und Jugendliche über Aufklärungsspiele bis hin zu Spielen, die Phobien heilen können. Kanadische Wissenschaftler modifizierten beispielsweise das PC-Game „Half Life" so, dass statt Soldaten Spinnen auf den Spieler losgehen. Damit halfen sie eigenen Angaben zufolge Menschen, die an einer Spinnenphobie leiden. Ähnliche Spiele werden auch bei anderen Phobien wie Platz- oder Flugangst eingesetzt.

Spiele, Flucht und Sucht 

 Die Transferwirkung kann aber nicht nur positive Effekte haben. Eine krankhafte Transferleistung kann auch in einer Sucht enden, bei dem das Spielen zum Zwang wird und die reale Welt durch die virtuelle ersetzt wird. Glaubt man der Medienberichterstattung und internationalen Aufklärungskampagnen, kann Spielsucht als eine große Gefahr angesehen werden - insbesondere für Jugendliche. So erschreckten schon Nachrichten von Todesopfern, die so sehr in ihre Spielwelt abdrifteten, dass sie schließlich daran starben. Computerspiele können süchtig machen. Das ist jedoch kein Massenphänomen. Die Zahl der Betroffenen ist nach wie vor gering. Längst nicht jeder Rollenspieler legt ein krankhaftes Verhalten an den Tag. Vielmehr entwickelt sich eine Sucht in der Regel nur dann, wenn Spieler zusätzlich die persönlichen Voraussetzungen für eine solche Sucht mitbringen. Depressionen und Phobien etwa begünstigen die Entwicklung einer Besessenheit ebenso sehr wie Probleme in der Familie. Meist handelt es sich dabei um den Versuch, der Realität zu entfliehen und mittels einer Online-Persönlichkeit ein „neues Leben" zu etablieren. Computerspielsucht ist bis heute nicht in den Katalog der psychischen Störungen aufgenommen. Vielmehr wird sie, abhängig vom konkreten Fall, als abnorme Gewohnheit, als Störung der Impulskontrolle oder als pathologisches Glücksspiel betrachtet.

Computerspiele und Gewalt 

 Ebenfalls häufig diskutiert wird die Frage nach den Zusammenhängen gewaltverherrlichender Computerspiele und gewalttätiger Jugendlicher. Doch auch hier sind konkrete Zusammenhänge schwer belegbar und ohne die Betrachtung des Kontexts unmöglich. Die Frage danach, ob die Spieler so genannter „Killerspiele" stärker zu Gewalt neigen, oder ob eine bereits vorhandene Gewaltneigung dazu führt, dass jugendliche Ego-Shooter-Spiele spielen, wird von verschiedenen Studien unterschiedlich beantwortet. Sicher scheint lediglich, dass es eine „Abwärtsspirale" gibt: Trifft Gewaltneigung auf Ego-Shooter, so verstärkt sich das aggressive Verhalten und die Folgen können fatal sein. Aber auch positive Wirkungen wurden nachgewiesen: So können „Killerspiele" auch dazu beitragen, Aggressionen abzubauen, Dampf abzulassen und Entspannung zu finden. Spiele gehören also tatsächlich zum Menschsein - mit all den guten und schlechten Seiten.

Ob Point-and-Click-Adventure oder ein interactives Musikvideo mit Videospiel-Elementen: Auch an der HdM entwickeln viele Studentinnen und Studenten immer neue Videospiele. Im nächsten und letzten Teil unserer Serie dreht sich alles um die Spielewelt an der HdM.

 Corinna Kübler, Claudia Langer


 Quelle https://www.hdm-stuttgart.de/view_news?ident=news20110830101536

Down the Rabbit Hole - Surreale Welten und ihre Darstellung

rabbithole 
 "This is your last chance. After this, there is no turning back. You take the blue pill; the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe. You take the red pill; you stay in Wonderland and I show you how deep the rabbit-hole goes." - Morpheus, Matrix 


alice-in-wonderlandSchon als Kind war ich ein großer Fan von Disneys "Alice im Wunderland". Abend für Abend zwang ich meine Eltern, die Kassette in meinen Röhrenfernseher zu schieben, bevor ich mich ins Bett kuschelte und über den verrückten Hutmacher lachte. Im Jahre 1865 erschuf Lewis Carroll ein großartiges Kinderbuch, das sich als viel mehr entpuppen sollte. Noch heute, im Jahr 2015, erkennen wir das Ausmaß der vielen Einflüsse, die das Märchen auf unsere Medien hat. Sei es Pan's Labyrinth, Chihiros Reise ins Zauberland oder auch der kürzlich veröffentlichte Indie-Titel Fran Bow (der mich in seinen Bann zog). Sie alle wurden deutlich von Alice im Wunderland inspiriert. Selbst der Begriff "Alice-im-Wunderland-Syndrom. " wurde ins Leben gerufen und beschreibt eine halluzinatorische Wahrnehmung. Was macht das Motiv so beliebt, und wie wird es in den einzelnen Medien dargestellt? Getrieben wird das gängige Klischee meist von einer jungen weiblichen Protagonistin, die mit ihrer Situation entweder nicht zufrieden ist, oder traumatische Erlebnisse verarbeiten muss. Durch ihre Neugier, oder einen Unfall findet sie sich in einer anderen Welt wieder. Das kann in psychischer oder auch physischer Form passieren. Auf der Suche nach der eigentlichen Message hinter dem Film/ dem Spiel, trifft die Protagonistin auf viele Fabelwesen. Eines sticht dabei meist heraus und wird zum persönlichen Ratgeber auf der Reise. Bei Pan's Labyrinth ist es der Faun, der Ofelia durch die schweren Rätsel führt. Bei Fran Bow sind es ihre sprechende Katze Mr. Midnight und Itward das Skelett, die ihr helfen ihre traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Sowohl bei Alice im Wunderland, als auch McGee's Version Alice: Madness Returns sind es jeweils die Grinsekatze und der Hutmacher, die den beiden wertvolle Lektionen erteilen. Auch der Sidekick kann durch eine Halluzination ausgelöst werden, ein Hilfeschrei des eigenen Hirns, wenn man so will.

Doch warum wird das Motiv so oft genutzt, wenn es sich um psychologische Thematiken handelt?

 Alternative Welten und deren Darstellung bieten zuerst einmal die künstlerische Freiheit jede Fantasie der Produzenten und Entwickler wahr werden zu lassen. Dank des fantastischen Settings können die psychischen Auswirkungen auf den Protagonisten wirkungsvoller dargestellt werden, als es in der realen Welt möglich ist. Ein Mensch, der nicht an einer psychichen Erkrankung leidet, kann sich nur schwer vorstellen wie es ist, einen Raum voller toter Menschen vor sich zu sehen, sich permanent beobachtet zu fühlen, oder ständig einen Schatten in den Augenwinkeln zu sehen. Um das für Außenstehende so gut wie möglich darzustellen, greift man auf das sogenannte "Rabbit Hole" zurück. Das beschreibt den Übergang in eine andere Realität, sei es körperlich oder auch gefühlsmäßig. Während Fran Bow den psychischen Weg durch die vom Arzt verschriebenen Pillen wählt und Alice im Original nur einen sehr intensiven Tagtraum hat, sind es bei Pan's Labyrinth oder auch bei Chihiros Reise ins Zauberland physische Wege in eine andere Welt. Ofelia trifft den Faun am Ende eines Labyrinths und Chihiro kriecht durch einen Tunnel in die zauberhafte Welt.


Die Macht des Charakterdesigns

alice-madness-returns-surrealismusDie eigentliche Ursache für die surrealen Welten der Protagonisten, sind sie selbst. Während sie im realen Leben meist Probleme haben oder gar in Lebensgefahr schweben, retten sich die Charaktere in ihre eigene Welt, um mit ihrer Situation besser umgehen zu können. In der Fantasy Welt erhalten sie dann meist übermenschliche Kräfte, verändern ihr Aussehen und können sich ihren ultimativen Ängsten stellen. Ein gutes Beispiel für die Darstellung der verschiedenen Welten, ist der Vergleich von Alice's optischem Auftreten. Rechts im Bild haben wir die echte Alice Lidell. Dreckig, abgemagert und ermüdet. Die psychischen Probleme werden im Charakterdesign widergespiegelt, sie wirkt leicht verwundbar und verängstigt. Auf der linken Seite sehen wir die Darstellung der Alice in ihrem Wunderland. Bewaffnet mit ihrem Vortex Blade strahlt sie Energie, Willenskraft und Stärke aus. Ihre Kleidung ist sauber, sie selbst wirkt aufgeweckt und gesund. Die Gefühle die sie in den jeweiligen Welten empfindet, werden durch die verschiedenen Designs noch einmal verstärkt. Während Alice in der realen Welt keinerlei Chance sieht, aus ihrer verzwickten Lage herauszukommen, stellt sie sich ihren Ängsten im verschrobenen Wunderland. In den anderen beiden Beispielen spiegeln sich die Unterschiede nicht im Auftreten wider. Man erkennt aber ähnliche Veränderungen am Charakter der Protagonisten. Ofelia ist von häuslicher Gewalt betroffen. Der Freund ihrer sterbenskranken Mutter schlägt sie und ist zeitweise sogar kurz davor, sie zu töten. In solchen Situationen zittert sie, weint oder rennt weg. Wenn sie sich jedoch den Aufgaben des mysteriösen Faun jedoch stellt, ist die mutig und stellt sich ihren Feinden entgegen. Das Auftreten in den surrealen Welten geben den Charakteren Macht. Sie erlangen ungeahnte Kräfte und fühlen sich dadurch in ihrem Selbstbewusstsein bestärkt. Die vier, hier mehrmals genannten Beispiele, lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Während sich die beiden Filmbeispiele Pan's Labyrinth und das Disney Original zu Alice im Wunderland auf die fantastische Verarbeitung der Ereignisse spezialisieren, befassen sich Alice: Madness Returns und Fran Bow direkt mit den traumatisierenden Erlebnissen und stellen diese mit all ihrem Schrecken dar.

 

Verarbeitung durch fantastische Darstellung

 

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Wie bereits erwähnt, teile ich die vier Beispiele gedanklich in zwei verschiedene Darstellungsformen. Alice im Wunderland sehe ich jedoch mehr als Begründer des Motivs, nicht nur als Bespiel der Darstellung. Im Original fällt das kleine, freche Mädchen aus reiner Neugier in den Hasenbau und erlebt die surreale Welt samt Hutmacher, weißem Hasen und Grinsekatze. Sie flieht zwar nicht, wie die anderen Beispiele, vor einer grausamen Vergangenheit oder Realität, muss sich auf ihrem Weg durch das Wunderland jedoch kniffligen Aufgaben stellen. Pan's Labyrinth tritt in deutlich dunklere Gewässer. Ofelia ist die Tochter einer schwerkranken Mutter. Diese verliebt sich in einen grausamen und brutalen NS-Anführer, der alle menschlichen Züge abgelegt hat. Ofelia leidet stark unter dem brutalen Alltag mit diesem Mann und dem absehbaren Tod ihrer Mutter. Sie flieht und trifft den Faun, eine mysteriöse Kreatur. Dieser erklärt ihr, sie sei eine verlorene Prinzessin, die mit Hilfe mehrer Rätsel die sterbende magische Welt retten müsse. Immer mehr verliert sich das kleine Mädchen in der fantastischen, wenn auch etwas unheimlichen Welt und entflieht damit dem grausamen Alltag. Der Film erreicht seinen Höhepunkt mit dem Tod von Ofelia, erschossen von dem Freund ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter. Während sie in der realen Welt im Sterben liegt, steigt sie als Prinzessin des magischen Reiches auf. Ihre Seele soll nun für immer existieren und kein Schmerz der Welt soll sie jemals wieder erreichen. Ofelia rettet sich also aus der grausamen Realität, um sich in eine wunderschöne Fantasiewelt zu begeben. Auch wenn sie sich ihren Ängsten stellt, flüchtet sie doch vor der Realität, anstatt diese zu verarbeiten.

Verarbeitung durch traumatische Darstellung

 

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Bei Fran Bow und Alice: Madness Returns stellen sich die beiden (in)direkt ihren Problemen. Beide haben ihre Eltern bei einem Unfall verloren. Während Alice mit ansehen musste, wie ihr Haus mit der ganzen Familie abbrannte, fand die kleine Fran ihre Eltern zerstückelt in deren Schlafzimmer vor. Beide werden daraufhin in eine Anstalt eingewiesen und wie Mörder behandelt. In dieser schier aussichtlosen Lage, retten sie sich in ihre eigene Traumwelt, wo sie jedoch noch viel schrecklichere Dinge erwarten. Auch wenn die Ereignisse in den surrealen Welten noch so schrecklich sind, stellen sich Alice und Fran direkt ihren Problemen, anstatt vor ihnen zu fliehen. Zusätzlich dient bei Alice: Madness Returns ein Zug, der das Wunderland langsam zerstört, als sinnbildliche Darstellung für ihren Verstand der die Ereignisse verdrängen will. Ihr Ziel ist es also, diesen Zug aufzuhalten, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und die schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Dr. Angus Bumby ist seit Jahren Alice Psychiater. Nachdem sie mehrere Jahre in der Psychiatrie (erster Teil der Spielerreihe) festgehalten wurde, ist sie nun bei ihm in Therapie. Das dieser der eigentliche Verursacher des Feuers in ihrem Haus ist und ihre Schwester in derselben Nacht vergewaltigte, muss sie im Spielverlauf auf schreckliche Weise erfahren. Während Bumby in der Realität ein Dasein als normaler Mensch führt, wird er im Wunderland als das Monster dargestellt, das er eigentlich ist. Auf ihrer Reise stellt sich Alice schlussendlich dem riesigen Puppenmacher und kann mit ihrer Vergangenheit abschließen. Während die Auseinandersetzung in der surrealen Welt durch einen Boss Kampf dargestellt wird, schubst Alice den manipulativen Psychiater in der realen Welt auf die Gleise. Mit Hilfe der traumatischen Erlebnisse im Wunderland schafft sie es also, ihre Vergangenheit zu bewältigen statt vor dieser davonzulaufen. Interessant hierbei: in der Szene trägt Alice ihre Kleidung aus dem Wunderland. Eventuell eine sinnbildliche Darstellung dafür, dass sie die im Wunderland gewonnene Kraft nun auch im echten Leben hat.

Ähnlich sieht es beim zweiten Beispiel aus: Fran Bow. Schon in mehreren Reviews wurde die starke Ähnlichkeit zwischen Alice: Madness Returns und Fran Bow erwähnt. Wie immer fängt alles ganz harmlos an. Zusammen mit ihren Eltern und ihrer Tante sitzt sie am Tisch, ihr langersehnter Wunsch eine Katze zu bekommen geht in Erfüllung. Sie nennt die kleine schwarze, knopfäugige Katze Mr. Midgnight und verbringt den Rest des Tages mit ihrer Tante. Nachts hört sie jedoch seltsame Geräusche aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern. Ihre Neugier wird mit dem Anblick ihrer zerstückelten Eltern bestraft. Verängstigt rennen Mr. Midnight und Fran in den Wald. Fran wird von den Angestellten der psychiatrischen Anstalt festgenommen und die kleine Katze bleibt alleine zurück. Auch hier ereilt die Protagonistin ein ungerechtes, grausames Schicksal aus dem sie sich nicht so einfach befreien kann. Die zu Beginn des Spiels verschriebenen Pillen lösen nach der ersten Einnahme albtraumhafte Bilder aus. Menschen verwandeln sich in schrecklich verstümmelte Gestalten, die Wände sind bedeckt mit Blut. Mr. Midnight erklärt ihr jedoch, dass sie die Pillen bräuchte, um von diesen Ort zu fliehen. Von nun an ist es dem Spieler möglich, zwischen der normalen und der "roten" Welt zu wechseln. Die surreale Welt bezieht sich hier also auf eine rein psychische Ebene. Im Laufe des Spiels wechselt Fran Bow immer wieder zwischen der fantastischen und traumatischen Darstellung. Langsam aber sicher verschmelzen die beiden Welten miteinander, bis Fran nicht mehr erkennen kann, welche von ihnen die Realität widerspiegelt. Nach ihrer Flucht aus der Anstalt begegnet sie immer wieder mysteriösen Kreaturen und verunstalteten Menschen, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen. Wichtige Charaktere sind ihre Katze Mr. Midnight und Itward, ein Skelett im Anzug, das ihr im Verlauf des Spiels über den Weg läuft. Während sie immer wieder von den traumatischen Bildern beim Tod ihrer Eltern heimgesucht wird, sind es die Freunde, die ihr helfen sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Anders als bei anderen traumatisierten Charakteren, flieht sie nicht von ihren Problemen, sondern begegnet den Monstern immer mit einer gewissen Höflichkeit, womöglich augrund ihres Alters. Fran's Problem sind nicht die blutrünstigen Monster, die sie auf ihrer Reise trifft. Es ist der Tod ihrer Eltern, der einschneidende Verlust von "Mama und Papa", der sie immer wieder aufschrecken und weinen lässt. Dieser Fakt ermöglicht es ihr, geduldiger und ruhiger an die Situationen anzugehen, obwohl anderere beim Anblick der Schauplätzen einen Schreikrampf bekämen. Während sich der Spieler bei Alice: Madness Returns mit Kampfsystemen, Waffen und Ausrüstungen gegen den Zerfall der eigenen Psyche wehrt, ist es bei Fran Bow ihr eigener Verstand, der sie durch die schwere Zeit führt. Es ist der kindliche Ansatz, Themen wie Depressionen, Selbstmord und Tod zu verstehen. Fran lernt, dass nicht alles was auf den ersten Blick erschreckend und monströs aussieht, ihr auch Böses will. Zum Ende des Spiels legt sie ihre kindlichen Ängste ab und wächst über ihr befleckte Vergangenheit hinaus.

alice-madness-returnsSurrealismus hilft uns, Ereignisse zu verarbeiten

Was sagt uns nun dieser ellenlange Text, voll mit Spekulationen und Informationen über den Einsatz und Nutzen von surrealistischen Welten? Egal ob Alice, die ihre Ängste mit dem Messer in Form von Bosskämpfen niederringt oder Fran Bow, die sich im Point 'n' Click Spiel auf das Lösen der Probleme durch Rätsel stützt. Indem sich die Protagonisten in ihre eigenen Welten versetzen, erhalten sie eine neue Möglichkeit sich ihren Problemen zu stellen. Sie sind keine Insassen einer Irrenanstalt, keine Patienten eines Psychotherapeuten oder Opfer von Misshandlungen. Sie sind Prinzessinnen, sie sind Kämpfer, sie sind unter Freunden. Surreale Welten ermöglichen es uns, von einer misslichen Lage Abstand zu nehmen und sich dieser mit neu errungener Kraft zu stellen.

NONPLAYER - Wenn die Realität nicht mehr genügt


non-player-king-queen-xplorerVor knapp vier Jahren erschien die erste Ausgabe Nate Simpsons' Nonplayer. Im Juni erschien in Amerika nun, nach langem Warten und Hoffen, der zweite Teil der Serie. Wir hoffen dass es mit Simpson und seiner Serie in Zukunft schneller vorangeht und präsentieren euch gleichzeitig den kürzlich erschienenen ersten Teil in deutscher Fassung. RPG- und Fantasyfans wird wärmstens empfohlen dran zu bleiben. Filme wie Matrix machten es uns bereits vor: Die echte Welt ist oftmals nicht einmal halb so spannend wie das, was uns in der virtuellen erwartet. So geht es auch der jungen Dana Stevens. Gefangen im schnöden Lieferdienst-Job verbringt sie ihre Zeit viel lieber in der Online Fantasywelt von Jarvath. Statt gefangen zu sein im tristen Alltag, umgeben von der verdreckten Stadt, ist sie hier so viel mehr. Als sie beschließt die Königin, einen bekannten Boss im Spiel, zu töten, reagiert der König beunruhigend menschlich auf den Tod seiner Frau. In der ersten Ausgabe des Fantasy-Comics machen wir unsere Bekanntschaft mit Dana Stevens, die in Zukunft noch eine große Rolle spielen soll. Ein Blick auf die Bilder genügt um die Stärken von Nonplayer zu erkennen. Nate Simpsons extrem stimmige und detaillierten Zeichnungen geben dem Comic einen eigenen Charme, und lassen den Leser sofort in die Welt(en) versinken. Die Illustrationen des Comics haben sich in kurzer Zeit auf meine persönliche Top 1 gekämpft. Mit einer Mischung aus World of Warcraft und Jurassic Park, schafft es Simpson seine Geschichte extrem harmonisch zu inszenieren.
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Besonderen Gefallen finde ich an Dana, dem Hauptcharakter in den Welten von Nate Simpson. Während sie in der virtuellen Welt im epischen Krieger-Outfit umherrennt und starke Boss Kämpfe bezwingt, kommt ihr wahres Gesicht in der Realität zum Vorschein. Ein bisschen abgewohnt, unmotiviert und genervt schleppt sie sich täglich zum Job, um das zu finanzieren, was ihrem Leben den eigentlichen Kick gibt: eine virtuelle, nicht existierende Welt. Oder vielleicht doch? Die Flucht in die Welt von Jarvath gibt ihr und vielen anderen eine zweite Chance im Leben und lässt die Spieler ein neues Leben beginnen, doch zu welchen Preis?
Ohne zu viel vorwegzunehmen, stellen einige Szenen immer wieder in Frage, ob es sich bei Jarvath tatsächlich nur um eine virtuelle Realität handelt. Auf den Tod der Königin reagiert der König schrecklich menschlich. Er schreit, ist bestürzt und schwört Rache für seine Frau. Auch in den Medien gibt es bereits einige Berichte über die unkonventionell menschlichen Reaktionen der NPC's des Spiels. Auf mehr lässt uns Nonplayer in der ersten Ausgabe jedoch nicht blicken.

Fazit

Mit diesen Ansatz im Hinterkopf könnte etwas Großes auf uns zukommen. In Form von insgesamt sechs Ausgaben will uns Simpson die Welt von Nonplayer und all deren Geheimnisse näher bringen. Der zweite Teil der Serie erschien vor kurzem in Amerika. Wenn wir uns also noch einen Moment gedulden, bekommen Leser die frischen Nachschub, um mehr von Dana und den Geheimnissen hinter der Entstehung Jarvaths zu erfahren.
Einen genaues Releasedatum zur deutschen Fassung des zweiten Teils gibt es noch nicht. Allzu weit sollte dieser jedoch nicht mehr entfernt sein.

Geistige Abgründe in NEVERMIND

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In den vergangenen Wochen drehte sich bei mir im Kopf alles um die Darstellungsformen mentaler Probleme und den Fakt, dass so viele Spiele es noch immer nicht auf die Reihe bekommen (looking at you, Life is Strange). Ein Spiel, dass sich intensiv und mit einer völlig anderen Herangehensweise an dieses Thema beschäftigt, ist Nevermind. 


surreal-xplorer-nevermindIrre in Zwangsjacken, schreiende Menschen die sich tollwütig die Haare ausreißen. In den Medien, sei es im Videospiel oder auch im Film, wurden psychische Erkrankungen in der Vergangenheit alles andere als realitätsnah dargestellt. Depressionen, Bipolarität, Schizophrenie. All das ist schon lange keine Ausnahmesituation mehr, sondern ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Ob man es glaubt oder nicht: Auch das sind vollwertige Menschen! Während Spiele wie Life is Strange eher dazu beitragen, diese Gruppen noch weiter in das Aus zu befördern, bemühen sich andere Spiele wie Fran Bow oder auch das kommende Hellblade, die Situation der Betroffenen für Außenstehende deutlicher zu machen. Im Fall von Nevermind übernehmen wir nicht die Rolle eines Patienten, sondern begeben uns in eine noch tiefere Ebene: Sein Bewusstsein. Als Arzt haben wir in Nevermind, dank neuster Technologie, die Möglichkeit, uns in die Köpfe von Patienten mit psychischen Traumata oder auch posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) zu begeben. Anstatt das ganze nun in Form eines Walking Simulators simpel durchzuspielen, begebe ich mich mit Nevermind NOCH eine Stufe tiefer in diesen Bereich: Ich schließe mir einen Biofeedback Sensor an, der meinen Herzschlag direkt mit meiner Spielfigur verbindet. Auf einem kleinen Computer wählt der Spieler den Patienten aus, der "psychologische Abdruck" wird daraufhin geladen. Wir betreten einen Raum und befinden uns kurz darauf in der Psyche des Patienten, in der wir uns nun frei bewegen können. Nevermind unterstützt eine ganze Reihe verschiedenster Biofeedback Sensoren. Mit Hilfe des Sensors, den ich in meinen Fall per Clip an meinem Ohr befestige, überträgt er meine Herzfrequenz direkt in das Spiel. Das hat unmittelbare Folgen und beeinflusst meinen Spielverlauf. Mal mehr mal weniger. Atme ich ruhig und kontrolliert, so wird im oberen linken Fenster mein Herzschlag in Form eines grünen, hoffnungsvoll klopfenden Herzens angezeigt. Verfalle ich in Panik und/oder fange an unregelmäßig oder schnell zu atmen, so wird mein Herzsymbol tiefrot und der Bildschirm rauscht stark. Je nachdem in welcher Situation ich mich gerade befinde, hat das direkte Auswirkungen auf meinen Spielverlauf. Schaffe ich es beispielsweise nicht rechtzeitig mich zu beruhigen und regelmäßig zu atmen, dann läuft der Raum in dem ich mich befinde mit Wasser voll. Ein Game Over gibt es hier nicht. Um nicht noch heftigere Reaktionen bei Spielern mit psychischen Traumata oder PTBS auszulösen, gibt das Spiel Tipps zur Beruhigung und versetzt den Spieler für eine kurze Zeit in eine Art Beruhigungsraum. Es muss nicht zwingend mit einem Sensor gespielt werden.Wer also verzichten möchte, der kann das tun. Ich empfehle es trotzdem jeden, mit dem Biofeedback Sensor zu spielen. An dieser Stelle sei gesagt: Ich habe weder ein psychisches Traumata, noch leide ich an posttraumatischen Belastungsstörungen, auf die direkte Wirkung Betroffener kann ich in diesen Fall also nicht eingehen. Nichtsdestotrotz ist es ein schrecklich unangenehmes, jedoch faszinierendes Gefühl, direkten Einfluss auf das Spielgeschehen zu haben. Das es sich nicht nur unheimlich realistisch anfühlt, sondern Patienten mit besagten Störungen sogar aktiv hilft, hat das Entwicklerteam Flying Mollusk bereits durch einige akademische Studien herausgefunden:
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Erin Reynolds, CEO Flying Mollusk
 Wir haben eine Vielzahl von Anekdoten der Spieler zurückbekommen. Viele berichten, sie fühlen sich ihrer Ängste und Stresskapazität mehr bewusst. Dies habe zur Folge, dass sie ihre Ängste und Stresslevel deutlich besser managen können nachdem sie einige Zeit mit dem Spiel verbrachten. Außerdem haben wir bereits einige akademische Studien vorliegen, die besagen, dass Nevermind vielversprechende Resultate in den angesprochenen Gebieten bringt. Eine 100 prozentige Aussage darüber ob-, und wie sehr das Spiel den Patienten wirklich hilft, können wir jedoch noch nicht treffen. Wir werden weiterhin mit akademischen und medizinischen Gemeinschaften in Kontakt stehen, um den positiven Einfluss des Spiels noch genauer zu untersuchen."
nevermind-xplorerJe nach ausgewähltem Patienten laufe ich durch einen alten Familienbesitz oder befinde mich in einer verlassenen Stadt. Das Ziel der Reise durch die Psyche der einzelnen Patienten ist es, die wahren Geschichten hinter den quälenden Erinnerungen aufzudecken. Im Laufe der "Sitzung" in der Psyche des Betroffenen, gilt es kleine Environment-Rätsel zu lösen und mit gefundenen Bildern symbolisch die verdrängte Vergangenheit der Patienten wiederherzustellen. Der Weg dorthin führt mich durch Unmengen beängstigender Schaufensterpuppen, blutige Tatorte oder auch surrealistische Wälder gefüllt mit ausgestreckten Händen, die nach mir zu greifen drohen. Das visuelle Design von Nevermind ist einzigartig und schafft es oftmals, mich in Staunen zu versetzen. Einer der wenigen Momente, in dem mir meine Herzfrequenz als ruhig schlagendes, grünes Herz angezeigt wird.

nevermind-dead-bodiesFazit

Während sich Nevermind einer angemessenen und realistischen Darstellungsform der psychischen Traumata und Belastungsstörungen widmet, erfüllt das Spiel in zwei Richtungen seinen Zweck. Außenstehende bekommen einen Einblick, wie belastend und beängstigend diese sein können. Gleichzeitig hilft es den Betroffenen die Probleme selbst anzugehen. Selbstverständlich ersetzt das Spiel keine Therapie oder gar Medikamente. Das das Spiel und seine Wirkung sich positiv auf die Kontrolle über die Angstzustände auswirkt, kann ich mir jedoch sehr gut vorstellen. Auch wenn das Spiel manchmal Gefahr läuft, den Spieler durch einen endlosen Angst Zyklus immer tiefer hinabzuziehen (Ich habe Angst vor dem Angst haben -> bekomme noch mehr Angst), schaffen die Entwickler es durch eingeblendete Tipps und eine generell recht ruhige Atmosphäre, den Spieler zu beruhigen. Ich würde mich sehr freuen, in naher Zukunft mehr Spiele wie Nevermind zu sehen. Die verschiedenen unterstützten Biofeedback-Sensoren schaffen es, den Spieler noch näher an das Geschehen zu bringen und mich so aktiv in die Geschichte einzubringen. Die kommenden Monate werden zeigen, wie sich das Spiel als Therapieansatz schlägt. Für die Zukunft plant Flying Mollusk übrigens noch mehr Patienten in das Spiel einzubauen. Der Preis von 19,99€ im Steam-Shop lohnt sich hier meiner Meinung nach auf jeden Fall.