Montag, 4. Januar 2016

MASOCHISIA – der Werdegang eines Serienmörders


masochisia-test1Hier markieren, um Trigger zu sehen: Kannibalismus, Depressionen, Missbrauch, Schizophrenie
 Bei meinem Test konnte ich Masochisia meist nur eine halbe Stunde am Stück spielen. Grund hierfür war keineswegs die fehlende Zeit oder mangelnde Motivation, sondern viel eher der Fakt, dass es ein verdammt düsteres Spiel ist. Die Gesamtspielzeit beträgt nur wenige Stunden, die man wahrscheinlich an einem Abend durchspielen könnte. Bei meinem Test war mir das jedoch nicht möglich. Ich sehe mich selbst nicht als jemanden, der leicht von Spiel Ereignissen verstört oder beeinflusst wird. Masochisia löste bei mir jedoch ein so unwohles, beklemmendes Gefühl im Bauch aus, das ich es auch einen Tag später, trotz der kurzen Anspielzeiten, noch mit mir herumtrug. Der Spieler schlüpft in die Rolle des jungen Hamilton, der mit seiner Familie, bestehend aus Vater, Mutter und einem Bruder, in einer ländlichen Gegend wohnt.Anstatt einer lieblichen Familie, erwartet uns hier jedoch die Laufbahn eines potentiellen Serienmörders. Auf dem Weg in das Wohnzimmer treffen wir auf die schizophrene Mutter, deren Stimmung stets zwischen schrecklichen Todesdrohungen und weinerlichen Entschuldigungen schwankt.

Gehen wir die Treppe hinauf, so treffen wir auf unseren älteren Bruder Walter. Der steckt in seinem blutverschmierten Zimmer in einer Zwangsjacke und droht, uns das Gesicht abzufressen. Er liebt es sich und andere um sich herum zu verletzen. Eine normale Unterhaltung ist durch seine komplett gebrochene Psyche nicht mehr möglich. Einige Mausklicks nach links und wir befinden uns im Schlafzimmer unserer Eltern, in dem sich unser alkoholisierter Vater befindet, der Hamilton täglich missbraucht und ihn für sein gescheitertes Leben verantwortlich macht. Es gibt keine kleine schwarze sprechende Katze, die uns hilft aus dieser schrecklichen Situation zu entkommen. Keine kleine Fee die uns in eine andere Welt zaubert. Wir befinden uns mitten in einem menschlichen Albtraum, und wir kommen nicht heraus.  
Das Grundprinzip eines Spiels basiert im Allgemeinen darauf, dass der Spieler belohnt wird. Bei Super Mario bekommen wir kleine Goldmünzen, in Skyrim darf ich nach dem Sieg über den Drachen seine Gebeine mitnehmen und mir eine Rüstung daraus basteln. Neben dem materiellen Ansporn gibt es auch den psychologischen Ansporn, das Streben nach Besserung. Die "Alles wird wieder gut"-Endings, die uns meist mit einem Lächeln auf den Lippen zurück lassen. Wir retten unsere Freundin, wir vertragen uns mit den Eltern, wir retten die Prinzessin aus dem Schloss. Was aber, wenn sich der Weg zum Ende des Spiels immer weiter verdüstert? Wenn die Hoffnung auf Besserung, zu einer sich stetig verschlechternden Situation führt? Masochisia lässt uns nicht die Rolle des "Alles wird gut"-Menschen übernehmen. Viel mehr übernehmen wir Kontrolle über eine gebrochene Seele, und verfolgen diese auf ihren Weg in den Abgrund. Der Spieler bekommt an dieser Stelle also nicht gesagt "Hey, Kopf hoch!" sondern wird damit konfrontiert, dass manches einfach nicht mehr zu retten ist. Wir bekommen nicht nur einen Einblick in das Leben eines vom Schicksal geprägten Jungen, sondern auch einen kontroversen Blick in die Psyche derer, die in so vielen Videospielen mit einer Zwangsjacke und hysterischem Lachen abgestempelt werden. Es zeigt uns den Werdegang der Menschen, die wir fürchten und von denen wir uns früher als Kinder gegenseitig Gruselgeschichten erzählten. Hamilton flüchtet sich in christliche Symbolbilder und Stimmen, die ihm zuflüstern was er als nächstes tun soll. Ein Indiz dafür, dass auch Hamilton wahrscheinlich an Schizophrenie leidet. Besonders interessant ist die Art in der Jon Oldblood, der als Einzelnperson das Projekt zum Leben erweckte, die Geschichte des kleinen Jungen erzählt. Die Stimme in unserem Kopf bemitleidet uns, sie spricht uns Mut zu. Wir sollen die Pillen nehmen, dann wird es uns besser gehen. Anfangs helfen diese auch gegen die entzetzlichen Erscheinungen, die uns neben der sowieso schon schrecklichen Familie plagen. Je tiefer wir in das Spielgeschehen eindringen, umso mehr verlieren sie jedoch die Wirkung. Hamilton selbst sieht sich im Verlauf des gesamten Spiels nie als den Bösen der Geschichte. Er tut das was ihm auferlegt wird, das was der düster dreinblickende Engel mit diabolischen Hörnern ihm sagt. Während wir in anderen Spielen eine kleine liebliche Fee oder sonstige Fabelwesen an die Hand bekommen, die uns durch die Dunkelheit leiten, werden wir bei Masochisa immer weiter in sie hineingeführt.
Die Stimmung des Spiels wird von Minute zu Minute düsterer und nur ab und zu durch unseren Psychotherapeuten unterbrochen, dem wir unsere Leidensgeschichte schildern. Die biblischen Anspielungen finden immer wieder einen Weg in den kindlichen Kopf, möglicherweise die Folge christlicher Erziehung und dem Versuch, sich selbst die schrecklichen Taten zu erklären. Auf die Symbolik selbst möchte ich an dieser Stelle jedoch gar nicht weiter eingehen, denn die Geschichte hinter all dem macht den Hauptteil des Point-and-Click artigen Spiels aus. Damit kommen wir auch zu den am meisten vernachlässigten Punkt des Spiels: dem Gameplay. Während die Debatte um die Frage "Wann ist ein Spiel ein Spiel?" spätestens nach dem Release von The Order: 1866 deutlich angeheizt wurde, macht es mir auch Masochisia nicht leicht diese Frage zu beantworten. Elementar baut das Spiel auf die Mechaniken eines Point-and-Click Adventures auf. Wir bewegen uns mit einem Klick an die Seiten des Bildschirms zum nächsten Raum, führen Dialoge mit den NPCs und befinden uns in einer 2D-Welt. Die typisch kniffligen Rätsel fallen hier jedoch fast komplett weg, außer ein oder zwei Mal gab es keine Situationen, in denen ich meinen Kopf zum Nachdenken nutzen musste. Ob Oldblood das Feature ausließ, um die düstere Stimmung beizubehalten, bleibt an dieser Stelle offen. Die einzige Möglichkeit sich ein wenig in den Spielverlauf einzumischen sind die Dialog Optionen, die meist aus drei verschieden möglichen Antworten bestehen. Ansonsten klicken wir uns lediglich durch ein (gut) inszenierten dreistündigen Film im Comic-Look. Wer hier auf starke Rätsel hofft, wird also leider enttäuscht.

masochisia-test Fazit

Masochisia mag wahrlich nicht für den Durchschnitts-Videospieler gedacht sein. Während es für viele kaum als Spiel anzusehen ist, ist es für die anderen ein schwer verdauliches Themengebiet. Ich empfehle jedoch trotzdem allen (die es sich zutrauen) einen Blick darauf zu werfen. Einen Blick auf die andere Seite, statt sich dem Stigma des "völlig durchgeknallten" hinzugeben. Viel eher werden die eigentlichen Ursachen vieler mentaler Probleme hervorgehoben, die in diesen Fall ihre Wurzeln in einer gewalttätigen Kindheit haben. Es wird die Seite jener Menschen in den Vordergrund gerückt, vor der sich so viele im Kinositz oder vor dem Bildschirm daheim fürchten. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Im Fall von Masochisia verfolgt ihr die einer gebeutelten Seele, die den düsteren Stimmen im Kopf nicht widerstehen konnte.

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